Künstliche Intelligenz bei der Deutschen Bahn
KI im Kampf gegen Verspätungen
Die Deutsche Bahn kämpft seit Jahren mit Verspätungen, unzuverlässigen Fahrplänen, der Personalplanung und umfangreichen, dringend notwendigen Baumaßnahmen. Die Probleme sind, insbesondere bei Umsteigeverbindungen und Strecken mit Baustellen, mittlerweile so groß, dass auch treue Kunden regelmäßig davon betroffen sind und es nicht mehr um die Interpretation von Statistiken und Service-Leveln geht, sondern um die richtigen Entscheidungen für den mehrstufigen Weg zurück in eine pünktlichere, verlässlichere und leistungsfähigere Zukunft. Beobachter im politischen Berlin verorten das Thema sogar als relevant für die Bundestagswahl, jenseits von Polemik und Glaubenskrieg. Denn die Probleme sind real und gleichzeitig symptomatisch für viele weitere Herausforderungen in Deutschland. In dieser Situation wird auch die Künstliche Intelligenz zum Hoffnungsträger, ebenso wie die „Digitalisierung“ der Infrastruktur.
Was Hoffnung macht, ist der Umstand, dass es für den Traum des „pünktlichen Bahnfahren“ durchaus internationale Vorbilder und Blaupausen gibt. Diese lassen sich aber nicht einfach übernehmen, denn das deutsche Bahnnetz hat einige Besonderheiten: Wir haben auch ohne Baustellen offensichtlich unrealistische Fahrpläne, viel zu kurze Haltezeiten und keinerlei Puffer, um temporäre Verspätungen schon am nächsten Bahnhof wieder aufholen zu können. Die Infrastruktur ist weder zeitgemäß noch auf dem aktuellen technischen Stand. Und in Deutschland blockiert die Politik eine Reservierungspflicht selbst bei den Fernverbindungsstrecken. Von den vielen Dutzend Problemen der Bahn könnten sicherlich einige mit Hilfe der KI effizient gelöst werden und entsprechend bestehen schon erste Umsetzungen und Pilotprojekte. Die KI kann keine Schienen erneuern und bringt kein Essen an den Platz. Aber fehlgeplante Baustellen, Probleme bei der verlässlichen Personalplanung und der Logistik sowie unrealistische Fahrpläne und Auslastungs-Forecasts kann die Künstliche Intelligenz helfen zu verhindern oder zu optimieren. Bei der Deutschen Bahn reden wir wirklich von Big Data - und die äußerst performante Arbeit mit riesigen Datenmengen ist bekanntlich die Paradisziplin der Künstlichen Intelligenz.
Vor die Bugwelle der Probleme kommen
Wir beobachten viele logistischen Herausforderungen bei der Deutschen Bahn, die aus dem Zusammenspiel von Überlastung des Schienennetzes, Störfällen, Materialermüdung, Fahrplan-Fehlern, Personalmangel, Materiallogistik-Defiziten, Auslastungs-Unwägbarkeiten, Wetterkapriolen, Streiks und weiteren Faktoren resultieren. Und alle diese Risiken sind seit Jahren bekannt und treten regelmäßig auf. Es liegen also genug historische Erfahrungsdaten vor, um auf dieser Datenbasis aufzusatteln. Denn die Probleme bei der Bahn liegen nicht an der uncharmant unterstellten „Unfähigkeit“ des Managements, sondern an infrastrukturellen Rahmenbedingungen, politischen Vorgaben, verschleppten Investitionen, äußeren und inneren Einflüssen, höherer Gewalt - und natürlich auch, aber nicht nur, an hausgemachten Fehlern. Daten bieten hier eine riesige Chance, die richtigen Erkenntnisse zu ziehen und vor die Bugwelle der Probleme zu kommen. Das weiß auch die Deutsche Bahn.
Wenn sich bei dem riesigen Streckennetz schon kleine Unregelmäßigkeiten oder notwendige Baumaßnahmen über den Tag hinweg zu einem Verlässlichkeits-Drama hochskalieren können, dann werden die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz zum Hoffnungsträger: Für schnellere Entscheidungen, für vielschichtige Auswertungen in Echtzeit sowie für verbesserte Prognose- und Simulationssysteme. Und mit dem Know-how und historischen Daten der Deutschen Bahn gefüttert, sollte die KI in der Lage sein, einen optimalen, resilienteren Fahrplan zu errechnen. Das klingt einfacher als es ist, denn nicht vergessen werden sollten die ganzen Einflüsse von außen. Auch die beste Logistik und Planung braucht Rückgrat um sich gegen Partikulär-Interessen oder Dogmen durchzusetzen. Das ist keine Aufgabe der KI, aber auch hier kann sie mit Simulationen und gigantischen Planspielen der Bahn helfen, gegenüber ihren vielen Stakeholdern, insbesondere auch den Bundesländern, souverän aufzutreten.
Digitalisierung und Telemetrie
Im Flaggschiff-Segment, dem ICE-Fernverkehr, käme eine Künstliche Intelligenz vermutlich nicht auf die zum Scheitern verurteilte Idee, möglichst viele Haltestellen mit minimaler Aufenthaltsdauer und null Sicherheitspuffer zu einem Fahrplan zu modellieren, der auf dem Papier eine hohe Frequenz, schnelle Verbindungszeiten und multiple Umsteigemöglichkeiten verspricht, aber schon bei der kleinsten Störung im Betriebsablauf zusammenbricht. Auch das weiß die Bahn und nutzt schon lange Datenanalysten und IT-Power. Aber der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht nur um die planerische Seite, sondern auch in Echtzeit-Reaktionen auf problematische Störfälle und um die permanente Einbeziehung von „Leading Indicators“.
Auch bei der Personal- und Auslastungsplanung oder dem herausfordernden Betrieb rund um Baustellen kann die Künstliche Intelligenz wesentlich schneller agieren. Der Vergleich mit der Formel 1 drängt sich auf und damit auch das Thema Telemetrie. Die Infrastruktur soll und kann, je nach Digitalisierungsgrad, viele wertvolle Daten liefern – ebenso das Zugmaterial. Bislang treffen hier, ein wenig zugespitzt, Floppy-Disks für die Sitzplatzreservierungen auf hochdigitalisierte Gleisabschnitte und dann wieder auf Technik und Material mit enormen personellem Betreuungsaufwand und oftmals nur unidirektionaler Melderichtung. Das Wort „Digitalisierung“ wird dabei sehr diffus benutzt, denn eigentlich ist jede elektrische Weiche bereits irgendwie digitalisiert. Aber für einen optimalen KI-unterstützten Betriebsablauf braucht es mehr Bidirektionalität im Datenaustausch, mehr Hochleistungs-IP-Verkabelung und sicherlich auch ein Überdenken der Schienenbelegung. Denn für einen höheren Digitalisierungsgrad in Stellwerken, Streckenabschnitten, Signalstellung und Sensorik, braucht es auch Kompatibilität mit den Fahrzeugen aller Schienen-Nutzer.
Planmäßig und verlässlich
Eine Hürde sind Vertragsdetails mit Kunden, wie den Bundesländern, für den Regionalverkehr und weiteren Nutzern der Infrastruktur. Und im Fernverkehr führt der Weg zu mehr Verlässlichkeit und kaum Verspätungen über das Abschneiden von alten Zöpfen in Kombination mit noch bessere Datennutzung. Es ist wie beim „Hasen und Igel“. Wenn im Fahrplan ein Zug theoretisch in Rekordzeit von A nach B fährt, kann es in der Praxis sein, dass eine realistischere, gemütlichere Planung -mit längeren Aufenthalten und einer etwas längeren Fahrtzeit- die Passagiere am Ende schneller und vor allem verlässlicher zum Ziel führt. Der Vergleich hinkt, aber wir kennen es auch vom Auto, dass ein Rasen auf der linken Autobahnspur und das häufige Spurwechseln meist weniger effizient ist, als ein fließender Verkehr mit niedrigerem Tempo. Am Ende zählt, wie planmäßig und verlässlich wir am Ziel ankommen. Und da kann die KI massiv helfen.
Die Deutsche Bahn spricht derzeit mehr über KI-Projekte im Regionalverkehr als beim ICE-Fernverkehr. Und der KI-Einsatz bei den S-Bahnen, und die daraus resultierenden Erfahrungen, sind nicht weniger wichtig:
„Disponenten überwachen die Fahrt der Züge und müssen bei Unregelmäßigkeiten schnell reagieren. Ein Beispiel: Wenn eine Schulklasse länger zum Einsteigen braucht, der Zug verspätet weiterfährt und zeitgleich mit einem anderen Zug einen eingleisigen Abschnitt erreicht, dann berechnet die KI in Sekundenbruchteilen, welcher Zug den Abschnitt zuerst befahren sollte. Immer unter der Maßgabe der geringsten Auswirkungen auf die Pünktlichkeit. Die Disponent:innen können wie in einer Art Videoclip in eine mögliche Zukunft vorspulen und sich ansehen, wie sich die Empfehlungen auf den Verkehr auswirken, bevor sie sich entscheiden.“
KI simuliert Live-Betrieb
Das Szenario der eingleisigen Streckenabschnitte trifft im Fernverkehr nur auf Baustellenstrecken oder bei betriebsbedingten Umleitungen zu, kann aber im Störungsfall eine ganze wichtige Lösungskomponente sein. Und das Beispiel mit den Schulklassen und anderen größeren Reisegruppen gibt es regelmäßig auch im Fernverkehr. Wenn dann noch auf Platzreservierungen verzichtet wurde oder der Zug überraschend in umgekehrter Reihung einfährt, ist der Fahrplan für diesen Tag nachhaltig gescheitert. Hier kann die KI auf vielfältigste Art und Weise agieren. Aus dem Zug heraus mit noch besseren Informationen über freie Plätze, vom Bahnsteig aus mit der Auswertung von ungewöhnlichem Menschenaufkommen am Bahnsteig. Nur zwei Beispiele.
Wiederum bezogen auf den Regional- und S-Bahn-Verkehr erläutert die Deutsche Bahn ihr Verständnis auf die Rolle der KI in der konkreten Verkehrssteuerung:
„Die KI simuliert auf Basis des Live-Betriebs laufend die Entwicklung der Verkehrslage und meldet mögliche Konflikte frühzeitig. Die Disponent:innen werden von der KI unterstützt, bei Unregelmäßigkeiten die S-Bahnen so zu steuern, dass möglichst wenig Verspätung aufgebaut wird und können so erstmals präventiv eingreifen. Im Ergebnis fließt der Verkehr besser: Züge müssen seltener ihre Geschwindigkeit reduzieren oder warten, wenn ein anderer Zug einen Streckenabschnitt blockiert. Das vermeidet Wartezeiten und Stau auf stark befahrenen Strecken.“
Predictive Maintenance mit Kamerabrücken
Das ist sicherlich alles richtig und wird derzeit in München, Stuttgart und Frankfurt getestet. Die Herausforderung ist nun das Adaptieren im Gesamtnetz: KI für das Predictive Monitoring. Peak Spotting, eine in Echtzeit erstellte Prognose und Simulationsmodelle, eine automatisch abgestimmte Personal- und Materialplanung. Und dann sicherlich ganz wichtig einen Paradigmenwechsel, dass die Fahrleitung und die Disponenten zu Supervisor der KI werden, aber nicht mehr jede Entscheidung treffen müssen. Da gibt es natürlich einige rechtliche Hürden, denn die Verantwortung für die Passagiere ist groß. Ein vollautomatisierter Betrieb muss ja nicht bedeuten, dass es beim ICE keinen Lokführer mehr gibt und die Stellwerke menschenleer sind. Es geht mehr darum, dass verzögerungsfrei Maßnahmen auch von der KI eingeleitet werden können und genau diese dann von Menschen überwacht oder auch angepasst werden.
Predictive Maintenance für die Schieneninfrastruktur und das Fahrmaterial wird durch KI-Auswertung der Daten und KI-unterstütze Logistik-Entscheidungen erheblich optimiert. Auch da sammelt die Deutsche Bahn schon Praxiserfahrungen! So wertet die KI zum Beispiel Kamerabilder aus, um Schäden an Zügen zu identifizieren. Dafür gibt es Kamerabrücken. All das bekommen wir als Passagiere selten mit. Es tut sich also durchaus viel. Aber insgesamt ist es eine immense Herausforderung, die auf althergebrachte Hürden und Regularien trifft, die ja auch alle ihre Herkunftsberechtigungen haben. Deshalb muss, so die Forderung von Experten, die Personalplanung mit in die KI. Denn, so die Argumentation, was nützt ein toller Plan, wenn der Zug dann doch stehenbleibt, weil Personal fehlt oder bereits zu lange gearbeitet hat? Die Eisenbahn in Deutschland wird erst wieder zum pünktlichen und verlässlichen Uhrwerk, wenn alle inneren und äußeren Faktoren ganzheitlich bei den Aufgaben der KI ausgewertet und berücksichtigt werden können. Da ist auch die Politik gefragt. Und an dem berühmt-berüchtigten „Weselsky“-Faktor, hat auch die KI schwer zu arbeiten. Es bleibt trotzdem ein optimistisches Fazit: Wenn irgendwo die KI zeitnah zum wertvollen Mitarbeiter werden kann -und es zum Teil schon in Projekten ist-, dann ist es bei der Deutschen Bahn.