

Reicht der Koalitionsvertrag dafür aus?
Deutschland will KI-Nation werden
Es ist das große Versprechen dieser Legislaturperiode: Deutschland soll nicht nur digitaler werden, sondern digital souverän. Möglich machen soll das – so formuliert es der verhandelte Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD – eine gezielte nationale KI-Strategie, die in ihrer Ambition größer gedacht ist als alles, was frühere Bundesregierungen auf den Weg gebracht haben. Künstliche Intelligenz wird zum politischen Querschnittsthema – für Verwaltung, Wirtschaft, Forschung, Infrastruktur und Sicherheitsarchitektur. Das klingt erst mal gut. Insbesondere nachdem die Künstliche Intelligenz im Wahlkampf eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Doch wie konkret sind die Pläne wirklich? Und was sagt der Vertrag über die Prioritäten der neuen Bundesregierung aus – auch zwischen den Zeilen? Eine umfassende Analyse zeigt: Es gibt Licht, es gibt Schatten – und es gibt blinde Flecken, die nicht ignoriert werden sollten.
Wer den Koalitionsvertrag nach konkreten Aussagen zur Künstlichen Intelligenz durchforstet, stößt auf eine Reihe klarer Bekenntnisse: Deutschland soll zu einem internationalen KI-Spitzenstandort ausgebaut werden, massive Infrastrukturinvestitionen sollen dies ermöglichen. Besonders auffällig: Die geplante Einrichtung einer nationalen KI-Gigafactory, ausgestattet mit über 100.000 GPUs, die vor allem Forschungseinrichtungen und Hochschulen Zugang zu Hochleistungsrechenressourcen verschaffen soll. Auch wirtschaftspolitisch ist KI mehr als ein Nebenschauplatz. Der Vertrag benennt ausdrücklich, daß kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-ups in „Reallaboren“ innovative KI-Anwendungen unter realen Bedingungen erproben sollen. Das Ziel der angehenden Regierung: Hemmschwellen abbauen, Anwendungsreife erhöhen und Innovationszyklen beschleunigen.
Und auch die Verwaltung wird nicht ausgespart. Sie soll digitalisiert, automatisiert und effizienter werden – ausdrücklich unter Nutzung von KI. Das betrifft klassische Behördenprozesse ebenso wie mögliche Einsätze in Justiz und öffentlicher Sicherheit. Letzteres jedoch ist nicht ohne Brisanz, wie kritische Stimmen betonen. Es gibt auch Passagen im Vertrag, in denen Künstliche Intelligenz nicht wörtlich genannt wird, aber dennoch mitschwingt – oder zumindest mitschwingen könnte, wenn man großer Optimist ist. So etwa in der Bildungspolitik: Zwar werden digitale Kompetenzen und die Förderung von IT-Fachkräften betont, ein konkretes Konzept für den frühzeitigen und reflektierten Einsatz von KI in Schulen fehlt allerdings. Dabei wäre gerade hier ein strategischer Ansatz entscheidend, um Kinder und Jugendliche auf eine Arbeitswelt vorzubereiten, in der KI künftig allgegenwärtig sein wird – sowohl als Werkzeug als auch als Herausforderung. Ähnlich verhält es sich beim Thema Klimaschutz. Zwar nennt der Vertrag „neuartige Klimatechnologien“ und bekennt sich zur ökologischen Nachhaltigkeit digitaler Entwicklungen – doch daß KI als Schlüsseltechnologie zur Optimierung von Energienetzen, Verkehrsflüssen oder Logistikketten fungieren kann, bleibt unerwähnt. Dabei wäre genau das der Ort, an dem ökonomische Effizienz und ökologische Transformation zusammengeführt werden könnten.
Der Koalitionsvertrag mit der Positivisten-Brille gelesen
Deutschland als Spitzenstandort für KI und digitale Technologien
„Wir stellen Deutschland als Spitzenstandort für digitale Zukunftstechnologien auf […] Wir setzen auf KI-Sprunginnovationen (zum Beispiel branchenspezifische KI-Sprachmodelle).“
Die angehende Bundesregierung positioniert sich klar für eine führende Rolle Deutschlands bei der Entwicklung und Anwendung von Schlüsseltechnologien wie KI. Mit dem Begriff „Sprunginnovationen“ signalisiert sie, dass sie nicht nur inkrementelle Entwicklungen, sondern disruptive Fortschritte fördern will – insbesondere auch für spezifische Wirtschaftsbranchen.
KI in der Verwaltung
„Verwaltungsprozesse werden wir automatisieren, beschleunigen und effizienter gestalten – insbesondere mit Künstlicher Intelligenz.“
Der Einsatz von KI in der öffentlichen Verwaltung wird als Mittel zur Effizienzsteigerung definiert. Damit verbunden ist ein Wandel in der Staatsorganisation hin zu datengetriebenem Handeln. Die mögliche neue Bundesregierung setzt auf die Verknüpfung relevanter Verwaltungsdaten und betont das Potenzial zur Automatisierung – ein Schritt in Richtung digitaler Staat.
Infrastruktur: AI-Gigafactory und Spitzenzentren
„Wir starten eine KI-Offensive mit einem 100.000-GPU-Programm (AI-Gigafactory). […] Wir wollen im Verbund KI-Spitzenzentren errichten.“
Mit der AI-Gigafactory plant die Koalition aus CDU, CSU und SPD massive Investitionen in die Rechenkapazitäten – eine notwendige Voraussetzung für moderne KI-Modelle. Hochschulen und Forschungszentren sollen davon profitieren. Damit wird eine infrastrukturelle Grundlage gelegt, um mit internationalen Tech-Nationen mitzuhalten.
Unternehmenseinsatz von KI
„Besonders kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups unterstützen wir durch gezielte Angebote wie KI-Reallabore.“
KMU und Start-ups sollen gezielt durch Praxisformate (Reallabore) unterstützt werden. Ziel ist, die Innovationskraft des Mittelstands zu aktivieren und Hürden beim Einstieg in KI-Anwendungen zu senken – ein wirtschaftspolitisches Bekenntnis zur „Breite statt nur Spitze“.
Internationale Zusammenarbeit und EU-Integration
„Wir wollen einen EU-Rechtsrahmen aus einem Guss und setzen EU-Digitalrecht innovationsfreundlich und kohärent um.“
Die künftige Bundesregierung verfolgt eine aktiv gestaltende Rolle auf europäischer Ebene und betont die Harmonisierung des Digitalrechts. Dabei steht ein „Made in Europe“-Ansatz im Vordergrund, mit dem Europa als sicherer, datensouveräner KI-Raum etabliert werden soll.
Gesetzgebung und Regulierung im KI-Zeitalter
„Wir prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Form Haftungsregeln mit Blick auf Künstliche Intelligenz auf europäischer Ebene angepasst werden müssen.“
Die Koalition aus Union und SPD erkennt an, dass KI neue haftungsrechtliche Fragen aufwirft. Das signalisiert Handlungsbereitschaft in einem rechtspolitisch bislang schwach regulierten Feld – auch mit Blick auf den AI Act der EU.
KI in Bildung und Nachwuchsförderung
„Wir wollen mehr Fachkräfte, insbesondere Frauen, für die IT-Branche gewinnen.“
Die Nachwuchsförderung für den KI-Bereich steht im Zentrum der Fachkräftestrategie. Zwar wird die Schulbildung nicht explizit genannt, doch wird ein Impuls in Richtung diverser und stärker digital ausgerichteter Ausbildung gegeben.
KI zur Erreichung von Klimazielen
„Wir bringen neuartige Klimatechnologien voran.“
KI wird nicht ausdrücklich in diesem Kontext genannt, doch im Rahmen von Forschung und Innovationen zu Klimatechnologien dürfte KI eine Querschnittsfunktion einnehmen. Die Verbindung von KI und Klimaschutz wird implizit mitgedacht.
KI und Sicherheitsforschung
„Wir schaffen eine Förderkulisse für Sicherheits- und Verteidigungsforschung einschließlich Cybersicherheit und sicherer Infrastrukturen […]“
Die angehende Bundesregierung will Sicherheitsforschung gezielt fördern – inklusive der Dual-Use-Anwendungen. Das umfasst auch KI, etwa zur Gefahrenabwehr im Cyberraum. Die explizite Erwähnung fehlt, die Relevanz ist dennoch hoch.
Transparenzpflichten und Risikofolgenabschätzungen für staatliche KI-Systeme
Zwar will man KI in der Verwaltung einsetzen, ein verpflichtendes Transparenzregister, wie es zivilgesellschaftliche Organisationen fordern, sucht man jedoch vergeblich.Algorithmische Diskriminierung
Der Vertrag bekennt sich zum Diskriminierungsschutz, bleibt aber vage, was die Herausforderungen im Kontext automatisierter Entscheidungsprozesse betrifft. Weder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch das geplante Antidiskriminierungskonzept werden explizit auf KI ausgerichtet.Europäische Haftungsregeln für KI-Systeme
Hier bleibt der Vertrag zurückhaltend. Es heißt lediglich, man wolle „prüfen“, ob Anpassungen nötig seien. Für ein Land, das sich zur KI-Nation aufschwingen will, ist das erstaunlich zögerlich.Generative KI und Meinungsbildung
Während das Thema Plattformregulierung angeschnitten wird – etwa in Bezug auf Desinformation oder „Dark Patterns“ –, bleibt die zunehmende Rolle generativer KI-Modelle (z. B. Chatbots, Bildgeneratoren) für die öffentliche Meinungsbildung komplett unerwähnt.
Lob, Kritik und klare Erwartungen
Die Reaktionen auf den Vertrag fallen – wenig überraschend – unterschiedlich aus. Der KI Bundesverband begrüßt die angekündigten Maßnahmen, vor allem die Infrastrukturinvestitionen und die Rolle des Staates als „Ankerkunde der digitalen Wirtschaft“. Gleichzeitig fordern Vorstand Jörg Bienert und Geschäftsführer Daniel Abbou eine zügige Umsetzung und koordinierte Verantwortung im neuen Digitalministerium. Ihre Botschaft ist klar: Die richtigen Worte wurden gefunden – jetzt müssen sie mit Leben gefüllt werden.
Deutlich kritischer äußert sich die NGO AlgorithmWatch, die dem Vertrag ein Übergewicht sicherheitspolitischer Maßnahmen und eine Vernachlässigung gemeinwohlorientierter Digitalpolitik vorwirft. Der geplante Aufbau von KI-gestützten Videoüberwachungssystemen in sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten wird als „massiver Grundrechtseingriff“ kritisiert – und steht laut der Organisation im klaren Widerspruch zur EU-KI-Verordnung, die biometrische Überwachung im öffentlichen Raum weitgehend untersagt. Auch das Fehlen konkreter Mechanismen zur Wahrung von Grundrechten und der Schutz vor algorithmischer Diskriminierung wird scharf beanstandet.
Die Großkanzlei CMS wiederum sieht vor allem Chancen – aber auch operative Risiken. Sie lobt die strategische Tiefe des Koalitionsvertrags, warnt aber vor einer Überforderung insbesondere mittelständischer Unternehmen durch komplexe Regulierungsanforderungen. KI sei nicht nur ein Technologie-, sondern ein Compliance-Thema – Unternehmen müssten ihre Systeme genau kategorisieren, Datenschutzprüfungen vornehmen und intern neue Strukturen schaffen.
Koalitionsvertrag mit Anspruch – aber nicht mit allen Antworten
Der Koalitionsvertrag 2025 ist der bisher deutlichste Versuch einer Bundesregierung, Künstliche Intelligenz nicht nur als Schlagwort, sondern als strategische Schlüsseltechnologie zu begreifen. Alles andere wäre natürlich auch unverständlich. Viele der Maßnahmen sind plausibel, einige längst überfällig, manche ambitioniert. Doch wie in der Technik selbst, entscheidet auch hier die Implementierung über den Erfolg. Was fehlt, ist ein durchgängiger Blick auf KI als gesellschaftliches System: als Infrastruktur, als Ordnungsfaktor, als Machtinstrument – und als potenzielle Risikoquelle. Die Bundesregierung setzt stark auf Förderung, schwächer auf Regulierung, und bleibt bei der Gemeinwohlorientierung oft vage.
Wirkliche relevante, strategische und konkrete Formulierungen zur Künstlichen Intelligenz finden sich wenige im Koalitionsvertrag. Manchmal wirkt es so, daß nachträglich noch eine KI-Formulierung ergänzt worden ist. Wenn es um die langfristige Vision geht, bleiben fundamentale Zweifel - auch im Kontext des fehlenden KI-Fokus im Wahlkampf und bei den TV-Duellen. Aber auch im Hinblick, daß die Präsentation der Verhandlungsergebnisse und die anschließende Debatte bislang zu keinem Zeitpunkt so geklungen hat, als ob Merz, Söder, Klingbeil und Esken die Gesellschaft , die Wirtschaft, Lehre und Forschung wirklich konsequent auf den Weg zur „KI Readiness“ und „KI Zukunft“ mitnehmen wollen. Für diesen tiefgreifenden Umbau braucht es nicht nur Absichtserklärungen und Fördertöpfe, sondern auch einen ganzheitlichen Masterplan und eine umfassende gesellschaftliche Debatte. Der Koalitionsvertrag wirkt hier erstaunlich oberflächlich.
Ob Deutschland wirklich zur KI-Nation aufsteigen kann, wird sich nicht nur an Gigafactorys und Reallaboren entscheiden. Sondern daran, ob es gelingt, Innovation, Verantwortung und Teilhabe intelligent zu verbinden – digital, demokratisch und zukunftsfähig.
Der Koalitionsvertrag
Verantwortung für Deutschland
Noch fehlt die Zustimmung der CDU auf einem kleinen Parteitag und die Zustimmung der SPD-Mitglieder. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zum Nachlesen: Koalitionsvertrag
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